Blitzermessungen oft angreifbar
VerkehrsurteilDer saarländische Verfassungsgerichtshof gab der Verfassungsbeschwerde eines Autofahrers statt, der gegen die Verurteilung wegen eines Tempoverstoßes geklagt hatte.
Im gegenständlichen Fall des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes (Az.: Lv 7/17) war ein Autofahrer zuvor zu einer Geldbuße von 100,00 € und einem Punkt verurteilt worden, weil er angeblich in einer 30er Zone 27 km/h zu schnell fuhr. Geblitzt wurde der Fahrer mit dem verbreiteten Gerät Laserscanner TraffiStar S350 der Firma Jenoptik. Das Verfassungsgericht hob die Verurteilung auf, weil es das Gericht als problematisch ansah, dass die eigentlichen Messdaten auf dem Gerät nicht gespeichert werden. Hierzu folgende Orientierungssätze:
1a. Rechtsstaatlichkeit verlangt ua die Transparenz und Kontrollierbarkeit jeder staatlichen Machtausübung . Zu einem rechtsstaatlichen Verfahren gehört daher die grundsätzliche Möglichkeit der Nachprüfbarkeit einer auf technischen Abläufen und Algorithmen beruhenden Beschuldigung.
1b. Zu den justiziellen Garantien eines fairen gerichtlichen Verfahrens, das ein Grundrecht auf wirksame Verteidigung einschließt (Art 60 Abs 1 Verf SL iVm Art 20, Art 14 Abs 3 Verf SL), zählt das Recht, sich - ggf konfrontativ - mit den von Strafverfolgungs- und Bußgeldbehörden aufgeführten Beweismitteln auseinandersetzen zu dürfen und „Waffengleichheit“ zwischen Strafverfolgungs- und Bußgeldbehörden und Verteidigung einfordern zu dürfen.
1c. Dieses Recht bezieht sich auch darauf, die tatsächliche Grundlagen des erhobenen Vorwurfs auf ihr Vorliegen und ihre Validität prüfen zu dürfen. Ist ein Gericht befugt, sich auf standardisierte Beweiserhebungen zu stützen, ohne sie anlasslos hinterfragen zu müssen (zu standardisierten Messverfahren: vgl BGH, 19.08.1993, 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291 <297>; BGH, 30.10.1997, 4 StR 24/97, BGHSt 43, 277), so muss zu einer wirksamen Verteidigung gehören, etwaige Anlässe, sie in Zweifel zu ziehen, recherchieren zu dürfen, sich also der Berechtigung der Beweiskraft der dem Gericht vorliegenden Umstände zu vergewissern.
2a. Fehlt es – wie hier bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät "Traffistar 350S" – an Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang und vermag sich eine Verurteilung nur auf das dokumentierte Messergebnis und das Lichtbild des aufgenommenen Kraftfahrzeugs und seines Fahrers zu stützen, so fehlt es an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener – selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wendet und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt.
2b. Solange eine Messung nicht durch die Bereitstellung der Datensätze - einschließlich auch der Statistikdatei - einer Nachprüfung durch die Verteidigung des Betroffenen zugänglich ist, würde der alleinige Verweis auf die Verlässlichkeit der Konformitätsprüfung schlicht bedeuten, dass Rechtsuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert wären. Das ist weder bei Geschwindigkeitsmessungen noch in den Fällen anderer standardisierter Messverfahren - wie zB der Blutprobenanalyse und der DNA-Identitätsmusterfeststellung - rechtsstaatlich hinnehmbar.
2c. Eine nachträgliche Befundprüfung (§ 39 MessEG) vermag das Fehlen der Rohmessdaten nicht auszugleichen. Mit ihr kann lediglich festgestellt werden, ob das Messgerät zum Zeitpunkt der Befundprüfung funktionsfähig ist und den Anforderungen der Eichung und Konformitätsprüfung genügt. Weder sind ihr vorübergehende, kurzfristige Störungen des Betriebes des Messgeräts in der Vergangenheit zu entnehmen, noch vermag sie zuverlässig abzubilden, ob die konkrete, in der Vergangenheit liegende Messung korrekt erfolgt oder von im Rahmen der Eichung und Konformitätsprüfung unvorhergesehenen Umständen beeinflusst worden war.
(Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil vom 05. Juli 2019 – Lv 7/17 –, juris)
Rechtsanwalt Jens Braun
Veröffentlicht: 15.07.2019